Pflege-Report 2022

Spezielle Versorgungslagen in der Langzeitpflege

 

Der Pflege-Report, der jährlich in Buchform und als Open-Access-Publikation erscheint, rückt im Schwerpunkt 2022 jene Pflegebedürftigen in den Mittelpunkt, die nicht wie im „Normalfall“ aus altersassoziierten Gründen Unterstützungsbedarf haben: Denn fast ein Fünftel der Pflegebedürftigen ist noch keine 60 Jahre. Neben Kinder- und Jugendlichen sind dies auch Erwachsene im erwerbstätigen Alter oder Menschen mit speziellen Grunderkrankungen wie beispielsweise frühen Demenzen, Beatmungspflicht oder auch Menschen mit Behinderungen. All diese Betroffenen fallen letztlich mit ihren spezifischen Bedarfen durch das Raster der „Altenpflege“. Die 16 Fachbeiträge des Pflege-Reports widmen sich ihren konkreten Versorgungs- und weiteren Unterstützungsbedarfen und wie diese gezielt gedeckt werden können: in Bezug auf das geeignete häusliche oder außerhäusliche Pflegesetting sowie hinsichtlich der erforderlichen Qualifizierung und Unterstützung informeller wie professioneller Pflegekräfte.

Aus dem Inhalt:

  • Pflegebedürftige Kinder und Jugendliche: Pflegerische Versorgung, familiäre Situation und Teilhabe
  • Versorgung am Lebensende: Infrastruktur der Palliativversorgung, Krankenhaustransfers am Lebensende, Advance Care Planning, Sozialethische Perspektiven
  • Weitere spezielle Versorgungslagen: Menschen mit Körperbehinderungen, Außerklinische Intensivpflege, Pflege psychisch kranker Menschen und von Menschen mit Frontotemporaler Demenz, Menschen mit einer geistigen Behinderung und altersassoziierter Pflegebedarf, Kinder und Jugendliche mit Pflegeverantwortung
  • Strukturelle Rahmenbedingungen: Neue Wohnformen, Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung, Angehörigenvertretung und Pflegeberatung

Zudem präsentiert der Pflege-Report empirische Analysen zur Pflegebedürftigkeit in Deutschland sowie zur Inanspruchnahme verschiedener Pflegeformen. Ein besonderer Fokus gilt der gesundheitlichen Versorgung in der ambulanten Pflege und im Pflegeheim.

Die im Pflege-Report 2022 veröffentlichten Ergebnisse zu Krankenhauseinweisungen von Pflegeheimbewohnenden unmittelbar vor Versterben werden ergänzt durch Einschätzungen von Pflegekräften. Rund 550 Pflegende gaben hierzu in einer Online-Befragung im Zeitraum März bis Mai 2022 Auskunft zu Rahmenbedingungen, Standards, berufsgruppenübergreifendem Kooperieren ebenso wie zur Personalausstattung und Qualifizierung im Kontext der Versorgung, Pflege und Begleitung von Pflegeheimbewohnenden am Lebensende. Der Bericht mit den zentralen Ergebnissen ist hier >> als Download verfügbar.

Inhaltsverzeichnis

TEIL I Schwerpunkt: Spezielle Versorgungslagen in der Langzeitpflege

Pflegerische Versorgungssituation (schwerst-)pflegebedürftiger Kinder

Claudia Oetting-Roß

Der Beitrag führt die spezifischen pflegerischen Versorgungsbedarfe (schwerst-)pflegebedürftiger Kinder exemplarisch aus, beschreibt typische familiale Pflegearrangements sowie zentrale Herausforderungen. Erläuterungen zum Erleben und Bewältigungshandeln von Eltern, betroffenen Kindern und gesunden Geschwisterkindern aus empirischen Untersuchungen tragen zum Verstehen familialer Pflegearrangement mit einem pflegebedürftigen Kind bei und liefern Ansatzpunkte für pflegerische Interventionen. Zusammenfassend werden zukünftige Handlungsanforderungen an eine familienzentrierte Pflege in der häuslichen Versorgung von pflegebedürftigen Kindern abgeleitet.

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Familien mit pflegebedürftigen Kindern. Lebenslagen – Herausforderungen – Teilhabe

Sven Jennessen

Der Beitrag fokussiert die Versorgungssituation der derzeit ca. 190.000 Kinder und Jugendlichen in Deutschland, die einen dauerhaften Pflegebedarf aufweisen. Diese Altersgruppe muss aufgrund der besonderen Abhängigkeiten und Verwobenheiten immer im Kontext ihrer familiären Situation betrachtet werden. Trotz der großen Heterogenität der Familienkonstellationen, des sozialen und finanziellen Status, der Wohnbedingungen, Sprachkompetenzen und Bildungsnähe bzw. -ferne lassen sich spezifische Herausforderungen für die Familien darstellen, die in psychosoziale, personelle und finanzielle Aspekte systematisiert werden. Auf dieser Grundlage werden Optionen entfaltet, die Familien bedarfsorientiert zu unterstützen und zu begleiten, wofür entsprechende sozialrechtliche Vorkehrungen zu treffen sind. Ziel dieser Maßnahmen ist immer ein Höchstmaß sozialer Teilhabe der einzelnen Familienmitglieder an den für sie jeweils relevanten Lebensbezügen.

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Infrastruktur der Palliativversorgung – Versorgungspfade von pflegebedürftigen Menschen in der palliativen Phase

Lukas Radbruch, Lisa Schmedding, Gülay Ates, Birgit Jaspers, Heiner Melching, Steven Kranz und Claudia Bausewein

Palliativversorgung ist die aktive und umfassende Versorgung von Menschen jeden Alters mit erheblichem gesundheitsbezogenem Leiden als Folge unterschiedlichster schwerer und fortschreitender Erkrankungen und insbesondere am Lebensende. Die Einbindung der Palliativversorgung sollte dabei nicht als absoluter Wechsel von einer vorher auf Heilung gerichteten Zielsetzung zu einer ab jetzt nur noch symptomlindernden Behandlung verstanden werden, sondern vielmehr als gradueller Übergang von einer kurativen hin zu einer mehr und mehr palliativen Behandlung. Zur Identifikation von Patientinnen und Patienten mit palliativem Versorgungsbedarf ist bei potentiell lebenslimitierenden Erkrankungen ein Screening sinnvoll. Ebenso kann eine Einteilung in Palliativphasen (stabil, instabil, sich verschlechternd und sterbend) hilfreich sein.

Im internationalen Vergleich liegt Deutschland in der Entwicklung der Hospiz- und Palliativversorgung auf dem höchsten Niveau. Allerdings zeigt der Vergleich auch Lücken in der Versorgung auf: so liegt Deutschland in der Gesamtzahl der Hospiz- und Palliativdienste pro eine Million Einwohner im Ländervergleich nur im Mittelfeld.

Die Hospiz- und Palliativversorgung kann nach der Versorgungsebene (allgemein und spezialisiert), nach dem Sektor (ambulant oder stationär) und nach den Einrichtungen und Diensten (Palliativstationen, Palliativdienste im Krankenhaus, stationäre Hospize, spezialisierte ambulante Palliativversorgung und ambulante Hospizdienste) unterschieden werden. Die Versorgungspfade von Patientinnen und Patienten mit einer unheilbaren fortschreitenden Erkrankung sind dabei sehr unterschiedlich, und verlaufen im Wechsel von ambulanter, stationärer und häuslicher Versorgung, mit unterschiedlichen Bedarfen an Therapieformen und unterschiedlicher Intensität der Beschwerden. Für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gibt es spezialisierte pädiatrische Leistungserbringende. Barrieren im Zugang zu einer angemessenen Palliativversorgung (bspw. bei nicht-tumorbedingt erkrankten Menschen mit voraussichtlich jahrelanger Behandlungsdauer) und die Ablehnung der palliativen Versorgung durch die Betroffenen selbst, ist insbesondere durch eine gesellschaftliche Diskussion über den Umgang mit schwerer Krankheit, Sterben und Tod zu begegnen. Eine Anleitung und Befähigung von Mitarbeitenden im Gesundheitswesen zur Verbesserung des Schnittstellenmanagements kann zur Versorgungskontinuität, Handlungssicherheit und Gewissheit über die Diagnose und den Krankheitsverlauf bei allen Beteiligten im Versorgungsnetz beitragen. Eine angemessene Palliativversorgung kann so langfristig bewusst von den Betroffenen wie von den Behandlern angenommen oder sogar eingefordert werden.

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Krankenhausaufenthalte von Pflegeheimbewohnenden am Lebensende: Eine empirische Bestandsaufnahme

Antje Schwinger, Kathrin Jürchott, Susann Behrendt, Felipe Argüello Guerra, Constance Stegbauer, Gerald Willms und Jürgen Klauber

Pflegeheime sind Orte des letzten Lebensabschnitts und des Sterbens. Ein Drittel der innerhalb eines Jahres verstorbenen AOK-Versicherten lebte in einem Pflegeheim. Obwohl sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für palliative Versorgungsansätze in den letzten 15 Jahren erheblich verändert haben, birgt die Versorgung Sterbender vielfältige Herausforderungen für das Setting Pflegeheim. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der Beitrag Krankenhaus-Verlegungen von Pflegeheimbewohnenden unmittelbar vor dem Lebensende auf Basis von AOK-Routinedaten. Sichtbar wird, dass sich die Krankenhausaufenthalte vor dem Versterben verdichten und zudem häufig auch potenziell vermeidbare Behandlungsanlässe als Ursache dokumentiert sind. Der vorgelegte Beitrag versteht sich in diesem Sinne als empirische Bestandsaufnahme. Er soll Anstoß sein für eine Diskussion der Frage, ob und wenn ja welcher Veränderung es bedarf, um eine rechtzeitige und konsequente Erfassung der Versorgungswünsche von Bewohnenden mit Blick auf ihr Lebensende zu sichern.

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Palliativversorgung: Gerechtigkeit, Solidarität und Versorgungsbedarf – Sozialethische Perspektiven

Michael Coors

Der Beitrag diskutiert ausgehend vom Hospiz- und Palliativgesetz (2015) Fragen der Gerechtigkeit in der Gesundheits- und insbesondere in der Palliativversorgung. Die Logik einer gerechten Verteilung nach Bedarf in solidarischen Gemeinschaften wird zunächst gerechtigkeitstheoretisch rekonstruiert. Die Frage der nachvollziehbaren Feststellung des Versorgungsbedarfs erweist sich so als zentrale Gerechtigkeitsfrage. Um aber palliative Versorgungsbedarfe festzustellen, braucht es Vorstellungen eines Normalverlaufs des Sterbens. Auf dieser Grundlage sich etablierende Vorstellungen des „guten Sterbens“ stehen dann in der Gefahr, die Selbstbestimmung von Patientinnen und Patienten zu gefährden. Als besonders schwierig erweist sich die Festlegung eines nachvollziehbaren Versorgungsbedarfs in stark von individuellen Vorstellungen geprägten Lebensbereichen, z. B. wenn es um psycho-soziale und spirituelle Versorgungsbedarfe geht. Das darf aber nicht dazu führen, dass in diesen Bereichen keine Angebote der palliativen Versorgung vorgehalten werden, wie es derzeit im Bereich der allgemeinen Palliativversorgung weitgehend der Fall ist.

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Advance Care Planning: ein neuer Baustein in der medizinischen Versorgung pflegebedürftiger Menschen nicht nur am Lebensende

Jürgen in der Schmitten, Stephan Rixen und Georg Marckmann

Eine große Sorge vieler Menschen im Zusammenhang mit chronischer Pflegebedürftigkeit gilt dem drohenden Verlust der Autonomie, nicht zuletzt im Kontext medizinischer Maßnahmen in lebensbedrohlichen Situationen, die mit Einwilligungsunfähigkeit einhergehen. Der bislang etablierte Einsatz von Patientenverfügungen lässt deren Potenzial, Autonomie zu stärken, bisher weitgehend ungenutzt. Advance Care Planning/Behandlung im Voraus Planen ist ein neues Konzept, das die Vorausplanung für künftige, mit Einwilligungsunfähigkeit einhergehende gesundheitliche Krisen als einen anspruchsvollen Prozess gemeinsamer Entscheidungsfindung versteht. Er bedarf einer qualifizierten Gesprächsbegleitung und schlägt sich in inhaltlich aussagekräftigen, idealerweise verschriftlichten Patientenverfügungen im Sinne wohlinformierter Festlegungen nieder. Fürsorge wird dabei als umfassende Stärkung der Fähigkeit zu autonomen Entscheidungen verstanden. Mit dem § 132g SGB V haben pflegebedürftige Menschen in Einrichtungen der stationären Pflege und der Eingliederungshilfe Anspruch auf kassenfinanzierte Gesprächsbegleitungen erhalten. Der Beitrag thematisiert aktuelle Herausforderungen und Kontroversen und formuliert Anregungen für eine Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen des Advance Care Planning in Deutschland.

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Lebensqualität im Mittelpunkt der Langzeitpflege von Menschen mit Körperbehinderungen

Roman Helbig und Änne-Dörte Latteck

Die Pflege von Menschen mit Körperbehinderungen wird in pflegewissenschaftlichen Diskursen bislang nur randständig betrachtet. Erkenntnisse zur Pflege dieser Zielgruppe sind notwendig, da die körperlichen Besonderheiten zu einer Inanspruchnahme pflegerischer Hilfestellungen führen können. Im Rahmen unserer qualitativen Grounded-Theory-Studie konnte gezeigt werden, dass Lebensqualität im Mittelpunkt der Pflege von Menschen mit Körperbehinderungen steht. Demnach werden pflegerische Handlungen maßgeblich durch das Wohn- und Hilfsumfeld, z. B. stationäres oder ambulantes Wohnen, sowie intervenierende Bedingungen, z. B. das Ausmaß der Akzeptanz einer vorhandenen Körperbehinderung, beeinflusst. Pflegerische Maßnahmen können dann die Veränderung der Wohnform oder die positive Beeinflussung von Verarbeitungsprozessen sein, jedoch immer mit dem Ziel, dass Menschen mit Körperbehinderung selbst über die eigene Lebensqualität entscheiden.

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Außerklinische Intensivpflege nach dem IPReG – eine Standortbestimmung anhand von AOK-Abrechnungsdaten

Miriam Räker, Sören Matzk, Andreas Büscher, Gerald Willms, Abdel Hakim Bayarassou, Nahne-Alina Knizia, Constance Stegbauer, Markus Hopp und Antje Schwinger

Der Versorgungssektor der außerklinischen Intensivpflege und Beatmung hat in den vergangenen Jahren eine dynamische Entwicklung erfahren. Gleichzeitig werden neben fehlender Transparenz mit Blick auf epidemiologische Kennzahlen und Versorgungsstrukturen unterschiedliche Versorgungsdefizite konstatiert, besonders im Bereich der außerklinischen Beatmung. Mit dem Gesetz zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz – GKV-IPReG) werden die bisherigen Regelungen zur Erbringung medizinischer Behandlungspflege für Versicherte mit intensivpflegerischem Versorgungsbedarf in einen neuen Leistungsanspruch für außerklinische Intensivpflege überführt und die sozialrechtlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich des Leistungsanspruches, des Leistungsortes sowie der Leistungserbringung definiert. Um bedarfsorientierte Versorgungsstrukturen nachhaltig zu gestalten, ist es jedoch notwendig, die bestehenden Bedarfslagen sowie die Versorgungs- und Lebenssituation von betroffenen Menschen systematisch zu erfassen. Die Systematisierung von potentiellen Erkrankungen, die einen Intensivpflegebedarf bedingen, und die darauf aufbauende Analyse von AOK-Abrechnungsdaten für das Jahr 2019 verdeutlicht die Heterogenität von Menschen mit außerklinischer Intensivpflege sowohl mit Blick auf das Alter, das Geschlecht, das Versorgungssetting als auch auf bestehende Grunderkrankungen. Eine große Bedeutung muss dabei der Subgruppe beatmeter und hier insbesondere trachealkanülierter Patientinnen und Patienten zugeschrieben werden. Die Untersuchung bestätigt überdies den bestehenden erheblichen Forschungsbedarf für den gesamten Versorgungsbereich.

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Herausforderungen in der Versorgung schwer psychisch kranker Menschen

Uta Gühne, Michael Schulz, André Nienaber, Stefan Rogge und Steffi G. Riedel-Heller

Die Prävalenz schwerer und chronischer psychischer Erkrankungen wird auf 1–2 % der Erwachsenenbevölkerung geschätzt. Neben der großen Erkrankungslast verbinden sich hiermit vor allem auch deutliche Risiken hinsichtlich der Teilhabe an Bildung, Arbeit, Wohnen und sozialem Leben. Zudem gehen schwere psychische Erkrankungen mit einer deutlich reduzierten somatischen Gesundheit und Lebenserwartung einher. Entsprechend hoch sind die verschiedenen Bedarfe der Betroffenen. Eine erforderliche umfassende und multiprofessionelle Behandlung in einem ambulanten Setting, die sich an den individuellen und im zeitlichen Verlauf auch an den wechselnden Bedarfen orientieren muss, wird in Deutschland nur zögerlich umgesetzt. Dabei stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung, die darauf gerichtet sind, eine personenzentrierte und koordinierte Versorgung und Überwindung von Sektoren- und Sozialgesetzgebungsgrenzen zu ermöglichen. Der Beitrag skizziert die besondere Lebens- und Versorgungssituation schwer psychisch kranker Menschen und greift dabei Aspekte psychiatrischer Pflege und der Pflegebedürftigkeit i. S. des SGB XI, § 14 auf.

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Menschen mit Frontotemporaler Demenz: Versorgungsbedarfe und Interventionen

Claudia Dinand, Martin Berwig und Margareta Halek

Die Frontotemporale Demenz ist eine von sehr unterschiedlichen früh beginnenden und seltenen Demenzformen, die die betroffenen Menschen und ihre Familien oft unerwartet und radikal vor große, das Leben verändernde Herausforderungen stellt. Trotz zunehmender Forschungsaktivitäten und Aufmerksamkeit in der Fachöffentlichkeit für die Lebenssituation von Menschen mit Demenz jenseits der Alzheimer Symptomatik gibt es eine Reihe von Versorgungslücken, die es zu schließen gilt. Eine davon ist die Unterstützung und Beratung von Angehörigen in der Bewältigung des gemeinsamen Alltags. Am Beispiel der Machbarkeitsstudie AMEO-FTD wird vorgestellt welche Potenziale Videofeedback für Menschen mit der verhaltensbetonten Variante der frontotemporalen Demenz und ihre Bezugspersonen für den Aufbau einer gelingenden Interaktions- und Beziehungsgestaltung haben kann. Anschließend werden literaturbasiert weitere Empfehlungen für Forschung und Praxis gegeben.

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Menschen mit einer geistigen Behinderung und altersassoziierter Pflegebedürftigkeit – Ausgewählte Aspekte für die professionelle Pflege und Begleitung

Sebastian Ritzi, Eric Schmitt und Andreas Kruse

Der Beitrag konzentriert sich auf die Lebenssituation von Menschen mit geistiger Behinderung. Er geht der Frage nach, inwieweit sich das fachliche und gesellschaftliche Verständnis für Menschen mit geistiger Behinderung gewandelt (oder eben nicht gewandelt) hat, wobei zwei Aspekte im Zentrum stehen: (a) Die Wahrnehmung und ausdrückliche Anerkennung der Ressourcen und Kompetenzen, (b) die Umsetzung der Rehabilitations- und produktiven Veränderungspotenziale. Vor dem Hintergrund dieser beiden Bereiche der Analyse diskutiert der Beitrag Fragen der Teilhabe wie auch des gleichberechtigten Zugangs zur gesundheitlichen – und dies heißt auch: rehabilitativen – Versorgung sowie der gegebenen (vs. mangelnden) Expertise von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Versorgungssystems mit Blick auf Bedarfe und Bedürfnisse, auf Kompetenzen und Vulnerabilitäten von Menschen mit geistiger Behinderung. Es wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, die medizinisch-rehabilitative und pflegerisch-rehabilitative Versorgung systematisch auszubauen, wobei die in den beiden vergangenen Jahrzehnten erzielten Fortschritte in der differenzierten Einschätzung von Rehabilitations- und produktiven Veränderungspotenzialen nicht übersehen werden dürfen. Der Beitrag legt – in seiner ethischen Rahmung – großes Gewicht auf die Explikation des Person-Verständnisses und – daraus folgend – auf die Wahrnehmung und unbedingte Anerkennung der Personalität von Menschen mit geistiger Behinderung, die ihrerseits auf Konzepten wie jenen der Selbstverantwortung und Autonomie fundiert.

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Kinder und Jugendliche mit Pflegeverantwortung in Deutschland: ein Überblick

Sabine Metzing

Ziel dieses Beitrags ist es, einen Einblick in den Alltag von Young Carers (in Deutschland) zu geben und Unterstützungsbedarfe aufzuzeigen. Dazu werden einleitend eine Definition und internationale Prävalenzraten dargestellt. Danach werden Faktoren beschrieben, die das Zustandekommen dieser familialen Pflegearrangements begünstigen. Es schließt sich eine Beschreibung dessen an, was Young Carers in welchem Umfang tun und welche Auswirkungen dies auf die Kinder und Jugendlichen haben kann. Schlussfolgernd werden Unterstützungsbedarfe abgeleitet und eingeschätzt, was dabei bis heute Schwierig­keiten bereitet, welche Erkenntnisse und Interventionen (noch) fehlen und wie Hilfe nachhaltig ermöglicht werden kann.

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Neue Wohnformen – ein Königsweg für die „Junge Pflege“?

Karin Wolf-Ostermann und Ursula Kremer-Preiss

In Deutschland waren 818.255 Menschen unter 65 Jahren zum Stichtag 31.12.2019 pflegebedürftig im Sinne des Sozialgesetzbuchs, das entspricht knapp 20 % aller Pflegebedürftigen. Ein drängendes Problem in der Versorgung jüngerer Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf ist es, die besonderen Anforderungen dieser Gruppe in Bezug auf passende Angebote und Einrichtungen zu decken, die ein Leben in möglichst großer Autonomie und Teilhabe ermöglichen. Neue Wohnformen stellen dabei ein Angebot zwischen Heim und Häuslichkeit dar, das hier Perspektiven bietet. Allerdings liegen derzeit wenig belastbares Informationen bzgl. der Anzahl der Angebote, ihrer Nutzung und ihrer Bedarfsgerechtigkeit u. a. im Hinblick auf Versorgungs-Outcomes vor. Der vorliegende Beitrag fasst verfügbares Wissen hierzu zusammen und stellt exemplarische Praxisbeispiele junger Pflege in neuen Wohnformen sowie Elemente für ein zukunftsfähiges Wohnkonzept bei junger Pflege vor. Die Ausweitung über einzelne „Leuchtturmprojekte“ in die allgemeine Versorgungspraxis unter Verständigung auf notwendige Rahmenbedingungen ist zukünftig ein wichtiger und drängender Schritt in Richtung ausreichender regelhafter Angebote.

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Pflegebedürftige mit speziellen Versorgungsbedarfen: Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung

Gertrud Hundenborn

Das Pflegeberufegesetz hat die Pflegeausbildung(en) grundlegend reformiert. Damit stellt sich die Frage des Verhältnisses zwischen pflegerischer Erstausbildung und pflegeberuflicher Weiterbildung im Prozess des lebenslangen Lernens neu. Es geht um die Klärung, auf welche Anforderungen von Pflege- und Versorgungssituationen ausgewählter Klientengruppen in der Langzeitpflege die Pflegeausbildung hinreichend vorbereitet und welche Kompetenzen dagegen in der pflegerischen Weiterbildung vermittelt werden müssen.

Der Beitrag beantwortet diese Frage in zwei Abschnitten. Der erste Teil skizziert zentrale Innovationen der neuen Pflegeausbildung und beleuchtet vor diesem Hintergrund generell die Konsequenzen für anschlussfähige pflegerische Weiterbildungen. Der zweite Teil greift ausgewählte Pflege- und Versorgungssituationen in der Langzeitpflege auf, die Gegenstand dieses Schwerpunktbandes sind. Anhand exemplarischer Kriterien wird die Frage beantwortet, ob bzw. inwieweit die Ausbildung angemessen auf die Anforderungen solcher Situationen vorbereitet ist und für welche Pflege- und Versorgungsbedarfe anschlussfähige Weiterbildungen erforderlich sind.

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„Aus dem Schatten ins Rampenlicht“: Versorgungssettings und Unterstützungsbedarfe in der häuslichen Pflege durch Angehörige sind vielfältig

Frank Schumann, Christian Pälmke und Katharina Lange

Vielfalt ist das Resultat einer sich dynamisch wandelnden Gesellschaft. Das hat auch Auswirkungen auf die pflegerische Versorgung in der Häuslichkeit, wo der Großteil der Menschen mit Pflegebedarf von Angehörigen, Freunden oder Nachbarn versorgt werden. Anhand von vier Bevölkerungsgruppen gibt der Beitrag einen exemplarischen Einblick in jeweils unterschiedliche Lebenslagen, -geschichten und Herausforderungen, die im Zusammenhang mit einer Pflegesituation einhergehen können. Der Artikel stellt häusliche Pflegesettings bei Menschen mit Migrationsgeschichte, bei Familien mit einem pflegebedürftigen Kind, bei Menschen aus dem Spektrum der sexuellen Vielfalt (LSBTI*) und bei pflegenden Kindern und Jugendlichen in den Focus. Die den Betrachtungen zugrundeliegende These lautet, dass zwar im Hinblick auf die Zusammensetzung der Gesellschaft Vielfalt Normalität ist, diese aber mitunter im Pflegesystem und der Pflegepraxis noch immer nicht umfassend wahrgenommen und gelebt wird. In der Folge stehen viele Bevölkerungsgruppen im Schatten der Öffentlichkeit. Aufgrund der fehlenden Wahrnehmung fehlen wichtige Unterstützungsleistungen. Die im Beitrag dargestellten jeweiligen Rahmenbedingungen sollen für die spezifischen Bedürfnisse dieser Gruppen sensibilisieren. Die dargestellten Handlungsempfehlungen sollen zum weiteren Nachdenken und zur Diskussion um eine achtsame pflegerische Versorgung von allen Menschen mit Pflegebedarf und zur besseren Unterstützung der sie primär versorgenden pflegenden Angehörigen anregen. Die stärkere Sensibilisierung von Fachkräften zu den jeweiligen Gruppen stellt dabei eine wiederkehrende Forderung dar, die auch als übergeordnete Forderung nach einer umfassenden diversitätssensiblen Ausrichtung der Pflege verstanden werden kann. Für den Beitrag wurde der Austausch mit verschiedenen Fachstellen gesucht, deren inhaltlicher Arbeitsschwerpunkt in den jeweiligen Themengebieten liegt. So soll eine praxisnahe Perspektive zum Thema vermittelt werden.

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Pflegeberatungsstrukturen für pflegebedürftige Menschen mit speziellen Versorgungsbedarfen

Julia K. Wolff und Claudia Pflug

Für pflegebedürftige Menschen mit besonderen Versorgungsbedarfen birgt die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI im Sinne eines Case Managements viele Potenziale, da die Versorgungs- und damit auch Beratungsbedarfe in der Regel sehr komplex sind. Für die zwei Zielgruppen pflegebedürftige Kinder und Jugendliche und pflegebedürftige Menschen mit Behinderung wird das Pflegeberatungsgeschehen anhand der Daten der Evaluation der Pflegeberatung und Pflegeberatungsstrukturen nach § 7a (9) SGB XI aus dem Jahr 2020 genauer untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die beiden Zielgruppen einen im Verhältnis zu ihren erwarteten Beratungsbedarfen geringen Anteil am Beratungsgeschehen nach § 7a SGB XI ausmachen und dabei häufig an spezialisierte Stellen verwiesen werden. Obwohl sowohl in städtischen als auch in ländlichen Regionen oft auf die Zielgruppen spezialisierte Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege zur Verfügung stehen – wobei diese für pflegebedürftige Menschen mit Behinderung verbreiteter sind als für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche –, ist nur ein geringer Anteil der dort beschäftigten Beraterinnen und Berater für die Beratung der Zielgruppen weiterqualifiziert. Zusammenfassend weist die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI aufgrund der Möglichkeit des Case Managements, der explizit vorgesehenen sozialgesetzbuchübergreifenden Beratungstätigkeit und Netzwerkarbeit ein großes Potenzial für pflegebedürftige Menschen mit besonderen Versorgungsbedarfen auf. Als zentrale Anlaufstelle (insbesondere für ein Case Management) und durch eine adäquate Vernetzung mit der bereits bestehenden vielfältigen Beratungslandschaft, können bestehende Beratungsbedarfe der Betroffenen niedrigschwellig und bestmöglich gedeckt werden.

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Teil II Daten und Analysen

Pflegebedürftigkeit in Deutschland

Sören Matzk, Chrysanthi Tsiasioti, Susann Behrendt, Kathrin Jürchott und Antje Schwinger

Der Beitrag liefert ein ausführliches Bild zum Stand der Pflegebedürftigkeit und der gesundheitlichen Versorgung der Pflegebedürftigen in Deutschland. Die Analysen basieren auf GKV-standardisierten AOK-Daten. Sie zeigen Prävalenz, Verläufe und Versorgungsformen der Pflege sowie Kennzahlen zur gesundheitlichen Versorgung der Pflegebedürftigen. Im Fokus stehen die Inanspruchnahme von ärztlichen und stationären Leistungen, Polymedikation und Verordnungen von PRISCUS-Wirkstoffen und Psychopharmaka. Die Ergebnisse werden der Versorgung der Nicht-Pflegebedürftigen gleichen Alters gegenübergestellt und differenziert nach Schwere der Pflegebedürftigkeit und Versorgungssetting ausgewiesen.

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